Der Sonnengesang

Der Son­nen­ge­sang ist der bekann­tes­te Text des „Trou­ba­dours aus Assi­si“ und zählt auf­grund sei­ner dich­te­ri­schen Gestalt und sei­nes Inhalts zur Welt­li­te­ra­tur. Es ent­stand in alt­ita­lie­ni­scher Spra­che im Win­ter 1224/25, als Fran­zis­kus krank in einer Hüt­te bei San Dami­a­no lag. Nach spä­te­ren Quel­len füg­te Fran­zis­kus die Frie­dens­stro­phe hin­zu, um einen Streit zwi­schen dem Bischof und dem Bür­ger­meis­ter von Assi­si zu schlich­ten. Die Stro­phe über „Bru­der Tod“ ver­fass­te er, als er selbst dem Tode nahe war.

Das Gebet ist nicht nur eine Hym­ne auf Got­tes gute Schöp­fung, son­dern for­dert uns auch her­aus in unse­rem Ver­hal­ten zur Welt und in der Annah­me von Krank­heit und Sterben.

  1. Höchs­ter, all­mäch­ti­ger, guter Herr,
    dein sind der Lob­preis, die Herr­lich­keit und Ehre
    und jeg­li­cher Segen.
    Dir allein, Höchs­ter, gebüh­ren sie,
    und kein Mensch ist wür­dig, dich zu nennen.
  2. Gelobt seist du, mein Herr,
    mit allen dei­nen Geschöpfen,
    zumal dem Herrn Bru­der Sonne;
    er ist der Tag, und du spen­dest uns das Licht durch ihn.
    Und schön ist er und strah­lend in gro­ßem Glanz,
    dein Sinn­bild, o Höchster.
  3. Gelobt seist du, mein Herr,
    durch Schwes­ter Mond und die Sterne;
    am Him­mel hast du sie gebildet,
    hell leuch­tend und kost­bar und schön.
  4. Gelobt seist du, mein Herr,
    durch Bru­der Wind und durch Luft und Wolken
    und hei­te­ren Him­mel und jeg­li­ches Wetter,
    durch das du dei­nen Geschöp­fen den Unter­halt gibst.
  5. Gelobt seist du, mein Herr,
    durch Schwes­ter Wasser,
    gar nütz­lich ist es und demü­tig und kost­bar und keusch.
  6. Gelobt seist du, mein Herr,
    durch Bru­der Feuer,
    durch das du die Nacht erleuchtest;
    und schön ist es und lie­bens­wür­dig und kraft­voll und stark.
  7. Gelobt seist du, mein Herr,
    durch unse­re Schwes­ter, Mut­ter Erde,
    die uns ernährt und lenkt
    und viel­fäl­ti­ge Früch­te hervorbringt
    und bun­te Blu­men und Kräuter.
  8. Gelobt seist du, mein Herr,
    durch jene, die ver­zei­hen um dei­ner Lie­be willen
    und Krank­heit ertra­gen und Drangsal.
    Selig jene, die sol­ches ertra­gen in Frieden,
    denn von dir, Höchs­ter, wer­den sie gekrönt werden.
  9. Gelobt seist du, mein Herr,
    durch unse­re Schwes­ter, den leib­li­chen Tod;
    ihm kann kein Mensch lebend entrinnen.
    Wehe jenen, die in schwe­rer Sün­de sterben.
    Selig jene, die sich in dei­nem hei­ligs­ten Wil­len finden,
    denn der zwei­te Tod wird ihnen kein Leid antun.
  10. Lobt und preist mei­nen Herrn
    und sagt ihm Dank und dient ihm mit gro­ßer Demut.

(Quel­le: Das Erbe eines Armen. Die Schrif­ten des Franz von Assi­si. Hrsg. von Leon­hard Leh­mann OFMCap. – Topos Plus, 2003)

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